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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

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Heft 12 (Septemberheft 1930)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0468

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Klangfilm eine jährliche Einnahme von
7—6 Mllli'onen Mark zu. Die Beziehun-
gen der beiden Gesellschaften unlereinan-
der nnd zu den alten Produktionsfirmen
(Usa, Emelka, Terra usw.) sind verschie-
den sestgelegt; so dars die Ufa ohne Ruck-
sicht aus die Tobis mit der Klangsilm
produzieren; auch Terra, Emelka, Poly-
phon nehmen eine Ausnahmestellung ein.
Jedenfalls aber ist eine neue rmgeheure
Erschwerung künstlerischen und unahhän-
gigen Schassens eingetreten: daS geschäst-
liche Risiko ist durch die Mieten der Ap-
paratur so gesteigert, daß die ohnehin ge-
ringe Neigung der Produzenten zum Er-
periment jetzt völlig ausgetilgt ist.

Es findet aber auch eine ganz unmittel-
bare Einwirkung der Apparaturbesitzer
auf die Produktion statt. Dr. Si. teilt
in einem sciner beiden aufschlußreichen
und verdienstvollen Artikel über „Film
und Elektrokapital" (M. N. N. Nr. 120
und 206) mit: „Die Tobis knüpst ihre
Zusammenarbeit mit deutschen Filmsir-
men an die Bedingung, dem Fabrikanten
Vorschristen darüber zu machen, was er
versilmen dars und was nicht. Damit
ist die Elektro-Jndustrie zum g e i st i -
gen Produktionsches dcS deut-
schenTonsilms erhoben. Ein Druck,
der von der amerikanischen Uenors! blleo-
trio ausgeht, kann sich bis in die Stoss-
wahl der Aasa, des D. L. S., der Emelka
sortpflanzen." Wer also eigentlich sür
die Masse des Tonsilmunrates, der aus
ein wehrloses Volk niedergeht, verant-
wortlich ist, das vermag im Dschungel
kapitalistischer Verslechtungen niemand
mehr zu ergründen.

*

Wie durchsichtig, aber auch wie harmlos
erscheinen gegenüber dem Walten solcher
Mächte die Bestrebungen staatlicher Film-
politik, im Guten wie im Bösen! Bayern
hatte das Glück, in Dr. Johannes Eckardt
einen Organisator zu besitzen, der in den
Jahren 1922 bis igZv dieBayerische
Landessilmbühne zu cinem vor-
bildlichen Institut ausbaute. Es gelang,
den wertvollen Film als „Eastspiel" in
die gewöhnlichen Kinos zu bringen und
die Theaterbesitzer, denen so zu einem
gebildeten Stammpublikum verholsen
wurde, an seiner Borsührung zu inter-
essiercn. Jm Oktober 192g wurde in
München eine eigene Kultursilmbühne ge-
schaffen und man zählte binnen drei Mo-
naten nicht weniger als 2g 000 Besucher.

402

Die Tätigkeit der Landesfilmbühne er-
streckte sich schließlich aus Ho Städte und
200 kleine Orte ohne Lichtspielhäuser.
Ein solcher Ersolg war nur bei einer
großzügigen AuSwahl des Programmes
möglich. Die französischen Avantgardi-
sten und die künstlerisch vorbildlichen Rus-
sensilme wurden gezeigt. Jm bayerischen
Kultllsministerillm gewahrte man es mit
steigender Beklemmung. Als Chaplins
köstlicher „Pilgrim" aufs Programm ge-
setzt wurde, erhob man Einspruch. Man
gab vor, durch die liebenswürdige Satire
aus eine amerikanische Sekte könne sich
die — katholische (!!) Geistlichkeit verletzt
sühlen. Die in solchem Geiste ausgeübte
Zensur sollte durch eine ständige Über-
wachungskommission verewigt werden.
Dr. I. Eckardt zog die Konsequenz. Sein
Nachsolger wurde Oberstleutnant a. D.
Freiherr von Berchem.

*

Das Ministerium scheint sich nicht in ihm
getäuscht zu haben. Jhr Unglück wollte
es, daß die neue Direktion den Dersuch
unternahm, die von Eckardt gegründeten
alljährlichen „M ü n ch n e r Filmfest-
w 0 ch e n" sortzusühren. Diese Filmfest-
wochen boten einst Gelegenheit, sich über
die Spitzenleistungen der Weltproduktion
zu unterrichten, alte, zu Unrecht vergessene
Filme von hohem künstlcrischen Wert und
neueste, noch unvollkommene Experimente
kennenzulcrnen. Was dieses Jahr an
alten Filmen geboten wurde („Die Chro-
nik von Grieshuus", „Schloß Vogelöd",
„Tiefland", „Der Fuhrmann des To-
des") war zu Recht vergessen, war ledig-
lich langweilig, technisch unvollkommen
und näherte sich Walter JervenS komi-
scher Schau „Aus der Urzeit des Kinos".
Die übrige AuSwahl, zusällig und belang-
los, rechtsertigtc v. Berchems stolzes Wort
von der „Uberlcgenheit des deutschen Fil-
mes" keineswegs. Mit Bekümmernis
stellte man scst, daß das Ministerium
sein Ziel erreicht hat: die Bayerische Lan-
dessilmbühne und ihre Filmsestwochen
haben ausgehört Aussehen zu erregen.

-I-

ftn anderer Weise bewies der preußische
Staat seine Anteilnahme an der Entwick-
lung des Films, insbesondere des Ton-
silms. Der Generalintendant der preußi-
schen StaatStheater, Heinz Tietjen, ist mit
ausdrücklicher Genehmigung seines Mini-
 
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